#22 | 500 m Streifen

Geisa war zu Zeiten des geteilten Europas die westlichste Stadt der DDR und somit auch des Warschauer Paktes. Das idyllisch gelegene Städtchen an der Ulster als Tourist zu besuchen, war damals nahezu unmöglich, denn Geisa lag im Anfang der 1950er Jahre vom kommunistischen DDR-Regime auf Anweisung aus Moskau festgelegten Grenz-Sperrgebiet. Diese rund fünf Kilometer breite Sperrzone verlief auf östlicher Seite der gesamten, knapp 1400 Kilometer langen innerdeutschen Grenze. Nur gegen Vorlage eines Passierscheins durfte ins Sperrgebiet eingereist werden. Den erhielten in der Regel nur die Bewohner der betroffenen Orte und nach langwierigen Antragsverfahren auch nahe Angehörige zu Besuchszwecken. Die „500-Meter-Schutzzone” direkt vor der eigentlichen Grenzanlage war auch für Passierscheininhaber tabu. Durch dieses Tor, welches bis Spätherbst 1989 die Rasdorfer Straße versperrte, durften selbst die Geisaer nicht hindurch gehen oder fahren. Der 500m-Sperrstreifen war von einem gut gesicherten, bis zu 3,20 Meter hohen Zaun umgeben.

Wer ins 5km-Sperrgebiet einreisen wollte, musste an einem der Kontrollpunkte Passierschein und Personalausweis vorlegen. Solch ein Kontrollpunkt mit Schlagbaum und Wachhaus befand sich im Nachbarort Bremen an der heutigen Landesstraße 1026. Zudem waren stets Kontrollen durch Grenzer, Grenzhelfer oder Volkspolizei möglich. War es in der DDR generell Pflicht, seinen Personalausweis immer bei sich zu haben, galt dies im Sperrgebiet zusätzlich für den Passierschein. Bei den Bewohnern war der benötigte Passierschein meistens im Ausweis enthalten. Menschen, die dem DDR-Regime nicht genehm waren, wurden häufig aus dem Sperrgebiet zwangsausgesiedelt. Dies geschah nicht nur im Rahmen der beiden großen Deportationswellen „Ungeziefer” (1952) und „Kornblume” (1961), sondern auch bis in die 1980er Jahre in Einzelaktionen.

Wer versuchte, die Grenz-Sperranlagen zu überwinden, begab sich in äußerste Lebensgefahr. Insgesamt rund 1000 Menschen bezahlten den Versuch, den „Eisernen Vorhang” zu überwinden, mit ihrem Leben. Die nach Kriegsende zunächst recht einfachen Grenzanlagen wurden im Laufe der Jahre immer undurchdringlicher ausgebaut. Zäune mit Stacheldraht, Hochspannung, Minen, Selbstschussanlagen, Stolper- und Signaldrähte, Fahrzeugsperren und Hunde, Wachtürme, Erdbunker und nicht zuletzt bewaffnete Grenzsoldaten mit Schießbefehl „perfektionierten” die Perfidetät jener Sperranlagen, die ausschließlich dazu dienten, die Flucht der DDR-Bevölkerung aus ihrem Land in die Freiheit zu verhindern.

Über die heute Gott sei Dank frei passierbare Rasdorfer Straße gelangt man zur Gedenkstätte Point Alpha. Dort gibt es die Möglichkeit, die Geschichte des Kalten Krieges und des geteilten Europas hautnah zu erleben und zu begreifen.

Stadtverwaltung Geisa - 500m Streifen
500m Streifen (Quelle: Point Alpha Stiftung)
Stadtverwaltung Geisa - 500 m Streifen
500m Streifen (Quelle: Point Alpha Stiftung)